Tessnow, Willi


Tessnow, Willi

* 05.09.1904 in Waren an der Müritz,
† 11.04.1998 in Hamburg

Tischler, Gewerkschaftskassierer

  – SAJ 1919,

 – SPD,

 – Gewerkschaft,

 – Reichsbanner,

 – Distriktsführer,

 – Teilnehmer der Echo-Versammlung,

 – mehrwöchige Haft

Leben und Werk

Willi Tessnow wurde in Waren an der Müritz geboren. Nach dem Besuch der Volksschule erlernte er das Tischlerhandwerk bei einem örtlichen Tischler. Er begab sich auf die Wanderschaft und ließ sich als Tischlergeselle in Hamburg nieder. Willi Tessnow trat schon 1919 als Jugendlicher der SAJ und später der SPD bei. Darüber hinaus engagierte er sich in der Gewerkschaft und wurde später Mitglied des Reichsbanners. Während der Weltwirtschaftskrise verlor er seinen Arbeitsplatz. Die Zeit der Arbeitslosigkeit nutze er für eine Beteiligung am Bau des Hauses der Naturfreunde in Maschen. Zu dieser Zeit wohnte Willi Tessnow zur Untermiete in St. Georg, Holzdamm 44, und übernahm 1933 die Leitung des SPD-Distrikts St. Georg-Nord.
Als Distriktsführer nahm Willi Tessnow am 15. und 16. Juni 1933 an der „Echo“-Versammlung teil. Nach seiner Verhaftung wurde er ins Untersuchungsgefängnis Fuhlsbüttel überführt. Bei den Misshandlungen während der Verhöre wurden ihm mehrere Zähne ausgeschlagen. Nach seiner Entlassung Ende Juli 1933 war Willi Tessnow bis April 1934 arbeitslos. Während des Krieges arbeitete er auch der Deutschen Werft beim U-Boot-Bau.
Nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligte sich Willi Tessnow am Aufbau der SPD und der Gewerkschaften. Beschäftigung fand er zunächst im Krankenhaus Barmbek, später war er hauptamtlicher Hauskassierer bei der Gewerkschaft Holz. Willi Tessnow starb am 11. April 1998 in Hamburg.
Inke B., Enkelin von Willi Tessnow, berichtet über ihr Gespräch mit ihrem Großvater (ca. 1990):
„Mein Großvater hat nie über die Nazizeit mit seiner Familie gesprochen. Nur einmal hat er eine Ausnahme gemacht, da ich ihn darum gebeten hatte. Dabei hat er mir seine persönlichen Erinnerungen an seine Verhaftung und die Zeit danach geschildert.
Seine Erzählung begann am Tag seiner Verhaftung. Er war auf einer Versammlung der SPD. Hier waren alle höheren Funktionäre der Hamburger SPD zusammen gekommen.
Das beherrschende Thema bei der Versammlung war die mögliche Gefahr für die SPD und ihre Leute nach der Machtergreifung der NSDAP. Laut meinem Großvater machten sich die meisten Anwesenden keine großen Sorgen, einige prahlten sogar damit, dass sie keine Angst vor den Nazis hätten. Und mitten in der Versammlung wurden sie überfallen. Von allen Seiten, sogar durch den Schornstein stürmten plötzlich Nazi-Schergen in den Raum. Es gab kein Entkommen und nur einen kurzen Kampf.
Dann wurden die gefangenen Sozialisten erst mal verprügelt, wobei auch Stühle zu Bruch gingen. Später wurden ihnen eine Art ‚Wimpel’ angesteckt und sie wurden gezwungen, Zigaretten bzw. die Asche aufzufangen oder zu apportieren. Auch wurden Zigaretten und Zigarren auf ihnen ausgedrückt. Im Gefängnis wurde mein Großvater verhört und danach in eine Zelle gesteckt. Während der Verhöre wurden ihm Zähne ausgeschlagen.
Nach seiner Freilassung hat mein Großvater ein Gebiss von seinem jüdischen Zahnarzt anfertigen lassen. Ich erinnere mich noch fast wörtlich an seine Worte hierzu: ‚Der Zahnarzt war ein feiner Kerl, ein ganz feiner. Und er hat exzellente Arbeit geleistet. Er musste mir zuerst noch einige Stümpfe ziehen. Und da sagte er nur: “Mensch Willi, was haben die denn mit Dir gemacht.“ Das Gebiss hat von Anfang an gesessen, nichts hat geklappert. – Pause – Später haben ihn dann leider auch die Nazis geholt.’
Über die Zeit im Untersuchungsgefängnis hat mein Großvater nicht sehr detailliert berichtet. Nur wenige Details, wie, dass er manchmal während der Verhöre zum absoluten Stillstand gezwungen wurde. Prügel waren wohl obligatorisch bei den Verhören, genauso wie Einschüchterungen.
Oft ist mein Großvater nachts von den Schreien seiner Mithäftlinge aufgewacht. Diese Schreie haben ihn als über 80-jährigen wieder heimgesucht, in Form von Alpträumen. Er ist in dem Alter häufig schweißüberströmt aufgewacht, im Ohr noch die Schreie, die durch das Gefängnis hallten.
Nach einiger Zeit wurde mein Großvater in ein Lager abgeschoben um, wie er sagte, Platz für neue Häftlinge im Gefängnis zu schaffen. In diesem Lager waren die Bedingungen deutlich besser. Die Männer schliefen zusammen in einer Baracke und arbeiteten tagsüber als Erntehelfer auf den Feldern der Umgebung. Abends gab es dann noch Umerziehungsmaßnahmen und Lektionen über den Nationalsozialismus. Mein Großvater nannte es ein Umerziehungslager.
Das Essen in diesem Lager war zwar knapp für die Häftlinge, doch die Männer fanden schnell raus, dass im Anschluss an ihren Schlafraum Äpfel in der Baracke gelagert wurden, nur durch eine dünne Holzwand von dem Schlafraum getrennt. Mein Großvater als Tischler fand schnell eine Möglichkeit eine der Holzlatten so zu lösen, dass sie die Äpfel raus holen konnten. Und hinterher wurde die Latte wieder vor der Öffnung befestigt, so dass die Wärter nichts merkten.
Der Unterricht ist komplett an meinem Großvater abgeprallt. Und sehr bald wurde auch auf Seiten der Wärter eingesehen, dass er nicht umerziehbar war, so dass er nicht mehr an allen Sitzungen teilnehmen musste. Da mein Großvater bei der Erinnerung daran gelacht hat, gehe ich davon aus, dass zum Unterricht keine Prügel gehörten.
Doch die wertvollste Erinnerung an diese Zeit bezieht sich auf einige Mithäftlinge. Diese gehörten der Kommunistischen Partei an. Nachdem sie schon einige Zeit zusammen in dem Lager verbracht hatten, klopfte bei einer Gelegenheit einer von ihnen meinem Vater auf die Schulter und sagte: „Mensch Willi, du bist ja doch kein schlechter Kerl, obwohl du Sozialist bist.“
1951 hat mein Großvater eine Entschädigung von 300 DM für seine 2-Monatige Haftstrafe erhalten. Der SPD ist mein Großvater bis an sein Lebensende verbunden geblieben. Obwohl er in den 80er Jahren aus Protest gegen die seiner Meinung unverschämte Diätenerhöhung aus der SPD ausgetreten ist.“
Literatur:
Echo-Versammlung, S. 68f

HM

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